Der Beginn der stoischen Philosophie
Die Grundpfeiler der Stoa
Der Stoizismus ist eine besondere philosophische Strömung, die sich über mehrere Jahrhunderte kontinuierlich weiter entwickelt hat, ihrem Ursprung und Kern dabei jedoch immer treu geblieben ist. Im Zentrum der stoischen Philosophie steht die Vervollkommnung des Menschen hin zu einem tugendhaften Wesen und die unerschütterliche Seelenruhe und Hingabe im Angesicht selbst der schlimmsten Schicksalsschläge.
Die Stoiker sind für ihre enorme Selbstdisziplin und ihre hohen moralischen Selbstansprüche bekannt, ohne dass sie sich von den Übeln und zu korrigierenden Phänomenen ihrer Welt deprimieren lassen. Ihr Schlüssel ist das große Ja zur Welt, zum Schicksal, zu allem was ist. Und dieser Welt wollen sie so edel wie möglich begegnen.
In den meisten Biografien der bedeutenden Stoiker findet man mehr oder weniger dramatische Schicksalsschläge und Herausforderungen. Die stoische Philosophie entfaltet hier ihre ganze Kraft, weil sie dem ernsthaft Strebendem dazu verhilft, jede dieser Schwierigkeite zu meistern und über sie hinaus in einen Zustand von tiefgreifender Gelassenheit und Ataraxie (= Seelenruhe) zu gelangen.
Die ersten “Weltbürger”
Die Stoiker beschäftigten sich mit dem Wesen des Menschen, des Kosmosses und der eigenen Rolle und Position im großen Weltendrama. Sie wollten der Gemeinschaft dienen, waren ihrer Zeit aber weit voraus, da ihr Weltbild kosmopolitisch war, das heißt nicht auf einen Teil der Welt, z.B. die eigene Heimat begrenzt, sondern die ganze Welt umfassend, wie man an einem Zitat von Mark Aurel beweisen kann:
„Meine Natur aber ist eine vernünftige und für das Gemeinwesen bestimmte; meine Stadt und mein Vaterland aber ist, insofern ich Antonin heiße, Rom, insofern ich ein Mensch bin, die Welt.“
Vorreiter der Menschenrechtsbewegung
Laut der Vorstellung der stoischen Philosophengemeinschaft trägt jeder Mensch etwas Göttliches, Vernünftiges oder Heiliges in sich, dass ihm den Weg zu wahrer Tugendhaftigkeit und rechtem Handeln weist. Sie gehen daher davon aus, dass jeder Mensch dazu befähigt ist, weise Entscheidungen im Dienst an Menschheit, Welt und Leben zu treffen. Die Erkenntnisse der vorhergegangenen Philosophen sind ein Schatz, den sie dankbar annehmen und hüten. Gleichzeitig ist es ihre Pflicht, diesen Schatz zu erweitern und durch eigene Überlegungen auszuweiten und weiterzuentwickeln.
Für die Stoiker ist kein Mensch von der Verbindung zum göttlichen Ganzen ausgeschlossen, weswegen für sie auch jeder Mensch vollwertiges Mitglieder in der Gemeinschaft der Menschen ist. Einige Stoiker bemühten sich deshalb auch politisch für die Verbesserung der Lebensumstände, die soziale Stellung und die politischen Rechte von minder privilegierten Menschen wie Sklaven, Frauen und Kindern.
Die drei Phasen der Stoa
Die stoische Lehre entwickelte sich über fast 500 Jahre bis zu ihrem letzten bedeutenden Vertreter, dem Philosophenkaiser Mark Aurel, von führendem Vertreter zu führendem Vertreter immer weiter und kulminierte in Aurels Selbstbetrachtungen, das bis heute unter mächtigen und erfolgreichen Menschen große Beachtung findet.
Im Nachhinein wird die stoische Entwicklung in drei Phasen unterteilt, die ältere, die mittlere und die jüngere Stoa und jede dieser Phasen hat eigene Herausforderungen und dadurch verschiedene Schwerpunkte:
Die ältere Stoa (Beginn ab 333 v. Chr.)
Der Beginn des Stoizismus liegt im Jahr 333 v. Chr. in der bunt bemalten Säulenhalle auf dem Markplatz von Athen. Zenon, der hier zuerst Vorlesungen hielt, fand nach einem Schiffsunglück, in dem er als Kaufmann seine ganze Ladung verlor, in sokratischen Texten seine Liebe zur Philosophie. Man erkennt hier, dass bereits der Beginn des stoischen Philosophierens mit einem schweren Schicksalsschlag zusammenhängt, was womöglich ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Stoiker so viele Antworten auf die Frage nach dem Umgang mit Problemen und Schicksalsschlägen gefunden haben. Während die mittlere und jüngere Stoa vermehrt ethischen Fragen nach einem gelungenen Leben folgte, wurden in der älteren Stoa viele logische und theologische Grundlagen gelegt, um die Wirklichkeit und den eigenen Platz darin zu finden, was der Seele Ruhe und Frieden bringen soll.
Die mittlere Stoa (Beginn ab ca. 129 v. Chr.)
Die mittlere Stoa beschreibt die Übergangszeit, in der der griechische Stoizismus Rom erreichte. Panaitios, der lange die Athener Schule des Stoizismus leitete, hielt sich lange in Rom auf und begleitete den bedeutenden Feldherr Scipio auf zahlreichen Feldzügen. Dadurch konnte er den römischen geistigen Eliten das stoische Gedankengut näher bringen und begann so den Siegeszug stoischer Philosophie durch das römische Reich.
Da die Stoa sicht nicht länger nur mit dem Leben in der Polis (= ein gemeinschaftlicher Stadtstaat wie Athen) beschäftigte, sondern einen universellen Menschenrechts-Ansatz verfochte, in dem auch Sklaven als gleichwertige Mitglieder gesehen wurden, konnte diese Philosophie sich gut für das große römische Reich qualifizieren. Panaitios und Poeseidonios, die wichtigsten Vertreter der mittleren Stoa, milderten gleichzeitig die strengen Anforderungen der frühen Stoiker etwas und machten sie so massentauglicher. Da sie davon ausgingen, dass jeder Mensch verschiedene Anlagen, Schicksale und damit auch eine unterschiedliche Bestimmung hat, war ihre Philosophie auch für die adligen Schichten Roms interessant und akzeptierbar.
Die jüngere Stoa (Beginn um Christi Geburt, Ende ca. 200 n. Chr.)
Die bedeutenden Stoiker Seneca, Epiktet und Mark Aurel bilden die bedeutendsten Stoiker der späteren Stoa. Während von den früheren Stoikern oft nur Fragmente oder Überlieferungen durch andere Schriftsteller überliefert sind, ist von diesen dreien ein ausgiebiger Fundus an Originalschriften erhalten. Alle drei hatten enorm hohe ethische Ansprüche an sich selbst und den Mensch an sich, der ihrer Meinung nach dazu befähigt und bestimmt ist, die verschiedenen Tugenden zu kultivieren und dadurch Vervollkommnung zu erreichen. Seneca, Berater und Erzieher des narzisstischen Kaisers Nero, der später freigelassene Sklave Epiktet und der Philosophenkaiser Mark Aurel hatten alle große menschliche Herausforderungen zu meistern. Ihre Schriften sind bis heute ein Quell der Inspiration, mit Schwierigkeiten umzugehen und eine moralische Aufforderung, sich zu bemühen, ein guter Mensch zu sein, was ihrer Meinung nach alleine tiefe Glücksgefühle im Menschen auslösen kann.