Der Beginn der stoischen Philosophie
Als Zenon von Kition, der Sohn wohlhabender Kaufleute, über dreihundert Jahre vor Christus bei einem Schiffsunglück Hab und Gut verlor, widmete er sich verschiedenen philosophischen Gedankenströmungen und studierte die Weisheit unterschiedlicher Lehrer seiner Zeit und seiner Vergangenheit.
Schließlich reiften die Gedanken über das Leben in ihm derart heran, dass er selbst als Lehrer Schüler in seiner Philosophie unterrichtete. Als Ort wählte er die Säulenhalle (“Stoa”) auf dem athenischen Marktplatz und begründete damit eine 500 Jahre währende Gedankentradition, die bis heute prägend und weisheitsstiftend blieb.
Die Grundpfeiler der Stoa
Der Stoizismus ist eine besondere philosophische Strömung, die sich über mehrere Jahrhunderte kontinuierlich weiter entwickelt hat, ihrem Ursprung und Kern dabei jedoch immer treu geblieben ist. Im Zentrum der stoischen Philosophie steht die Vervollkommnung des Menschen hin zu einem tugendhaften Wesen und die unerschütterliche Seelenruhe und Hingabe im Angesicht selbst der schlimmsten Schicksalsschläge.
Die Stoiker sind für ihre enorme Selbstdisziplin und ihre hohen moralischen Selbstansprüche bekannt, ohne dass sie sich von den Übeln und zu korrigierenden Phänomenen ihrer Welt deprimieren lassen. Ihr Schlüssel ist das große Ja zur Welt, zum Schicksal, zu allem was ist. Und dieser Welt wollen sie so edel wie möglich begegnen.
In den meisten Biografien der bedeutenden Stoiker findet man mehr oder weniger dramatische Schicksalsschläge und Herausforderungen. Die stoische Philosophie entfaltet hier ihre ganze Kraft, weil sie dem ernsthaft Strebendem dazu verhilft, jede dieser Schwierigkeiten zu meistern und über sie hinaus in einen Zustand von tiefgreifender Gelassenheit und Ataraxie (= Seelenruhe) zu gelangen.
Die ersten “Weltbürger”
Die Stoiker beschäftigten sich mit dem Wesen des Menschen, des Kosmosses und der eigenen Rolle und Position im großen Weltendrama. Sie wollten der Gemeinschaft dienen, waren ihrer Zeit aber weit voraus, da ihr Weltbild kosmopolitisch war, das heißt nicht auf einen Teil der Welt, z.B. die eigene Heimat begrenzt, sondern die ganze Welt umfassend, wie man an einem Zitat von Mark Aurel beweisen kann:
„Meine Natur aber ist eine vernünftige und für das Gemeinwesen bestimmte; meine Stadt und mein Vaterland aber ist, insofern ich Antonin heiße, Rom, insofern ich ein Mensch bin, die Welt.“
Vorreiter der Menschenrechtsbewegung
Laut der Vorstellung der stoischen Philosophengemeinschaft trägt jeder Mensch etwas Göttliches, Vernünftiges oder Heiliges in sich, dass ihm den Weg zu wahrer Tugendhaftigkeit und rechtem Handeln weist. Sie gehen daher davon aus, dass jeder Mensch dazu befähigt ist, weise Entscheidungen im Dienst an Menschheit, Welt und Leben zu treffen. Die Erkenntnisse der vorhergegangenen Philosophen sind ein Schatz, den sie dankbar annehmen und hüten. Gleichzeitig ist es ihre Pflicht, diesen Schatz zu erweitern und durch eigene Überlegungen auszuweiten und weiterzuentwickeln.
Für die Stoiker ist kein Mensch von der Verbindung zum göttlichen Ganzen ausgeschlossen, weswegen für sie auch jeder Mensch vollwertiges Mitglieder in der Gemeinschaft der Menschen ist. Einige Stoiker bemühten sich deshalb auch politisch für die Verbesserung der Lebensumstände, die soziale Stellung und die politischen Rechte von minder privilegierten Menschen wie Sklaven, Frauen und Kindern.
Die drei Phasen der Stoa
Die stoische Lehre entwickelte sich über fast 500 Jahre bis zu ihrem letzten bedeutenden Vertreter, dem Philosophenkaiser Mark Aurel, von führendem Vertreter zu führendem Vertreter immer weiter und kulminierte in Aurels Selbstbetrachtungen, das bis heute unter mächtigen und erfolgreichen Menschen große Beachtung findet.
Im Nachhinein wird die stoische Entwicklung in drei Phasen unterteilt, die ältere, die mittlere und die jüngere Stoa und jede dieser Phasen hat eigene Herausforderungen und dadurch verschiedene Schwerpunkte:
Die ältere Stoa (Beginn ab 333 v. Chr.)
Der Beginn des Stoizismus liegt im Jahr 333 v. Chr. in der bunt bemalten Säulenhalle auf dem Markplatz von Athen. Zenon, der hier zuerst Vorlesungen hielt, fand nach einem Schiffsunglück, in dem er als Kaufmann seine ganze Ladung verlor, in sokratischen Texten seine Liebe zur Philosophie. Man erkennt hier, dass bereits der Beginn des stoischen Philosophierens mit einem schweren Schicksalsschlag zusammenhängt, was womöglich ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Stoiker so viele Antworten auf die Frage nach dem Umgang mit Problemen und Schicksalsschlägen gefunden haben. Während die mittlere und jüngere Stoa vermehrt ethischen Fragen nach einem gelungenen Leben folgte, wurden in der älteren Stoa viele logische und theologische Grundlagen gelegt, um die Wirklichkeit und den eigenen Platz darin zu finden, was der Seele Ruhe und Frieden bringen soll.
Die mittlere Stoa (Beginn ab ca. 129 v. Chr.)
Die mittlere Stoa beschreibt die Übergangszeit, in der der griechische Stoizismus Rom erreichte. Panaitios, der lange die Athener Schule des Stoizismus leitete, hielt sich lange in Rom auf und begleitete den bedeutenden Feldherr Scipio auf zahlreichen Feldzügen. Dadurch konnte er den römischen geistigen Eliten das stoische Gedankengut näher bringen und begann so den Siegeszug stoischer Philosophie durch das römische Reich.
Da die Stoa sich nicht länger nur mit dem Leben in der Polis (= ein gemeinschaftlicher Stadtstaat wie Athen) beschäftigte, sondern einen universellen Menschenrechts-Ansatz verfolgte, in dem auch Sklaven als gleichwertige Mitglieder gesehen wurden, konnte diese Philosophie sich gut für das große römische Reich qualifizieren. Panaitios und Poeseidonios, die wichtigsten Vertreter der mittleren Stoa, milderten gleichzeitig die strengen Anforderungen der frühen Stoiker etwas und machten sie so massentauglicher. Da sie davon ausgingen, dass jeder Mensch verschiedene Anlagen, Schicksale und damit auch eine unterschiedliche Bestimmung hat, war ihre Philosophie auch für die adligen Schichten Roms interessant und akzeptierbar.
Die jüngere Stoa (Beginn um Christi Geburt, Ende ca. 200 n. Chr.)
Die bedeutenden Stoiker Seneca, Epiktet und Mark Aurel bilden die bedeutendsten Stoiker der späteren Stoa. Während von den früheren Stoikern oft nur Fragmente oder Überlieferungen durch andere Schriftsteller überliefert sind, ist von diesen dreien ein ausgiebiger Fundus an Originalschriften erhalten. Alle drei hatten enorm hohe ethische Ansprüche an sich selbst und den Mensch an sich, der ihrer Meinung nach dazu befähigt und bestimmt ist, die verschiedenen Tugenden zu kultivieren und dadurch Vervollkommnung zu erreichen. Seneca, Berater und Erzieher des narzisstischen Kaisers Nero, der später freigelassene Sklave Epiktet und der Philosophenkaiser Mark Aurel hatten alle große menschliche Herausforderungen zu meistern. Ihre Schriften sind bis heute ein Quell der Inspiration, mit Schwierigkeiten umzugehen und eine moralische Aufforderung, sich zu bemühen, ein guter Mensch zu sein, was ihrer Meinung nach alleine tiefe Glücksgefühle im Menschen auslösen kann.
Fragen & Antworten zur Geschichte des Stoizismus
Der Stoizismus begann seinen Niedergang um das Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr., als das Römische Reich und seine kulturellen Zentren zunehmenden politischen und sozialen Veränderungen ausgesetzt waren. Das Erstarken des Christentums, das andere Werte und religiöse Vorstellungen vertrat, trug dazu bei, dass stoische Lehren nach und nach in den Hintergrund traten.
Die Philosophie verschwand jedoch nicht vollständig, sondern integrierte sich in Teile der christlichen Ethik und kehrte in verschiedenen Formen im Laufe der Geschichte wieder, wie etwa in der Renaissance und auch in der heutigen Zeit als Werkzeug zur Entwicklung von Resilienz und innerer Ruhe.
Mit der Bekehrung Kaiser Konstantins zum Christentum und der nachfolgenden Verfolgung paganer Philosophien wurde der kulturelle und intellektuelle Raum zunehmend von christlichen Lehren geprägt.
Der Stoizismus basierte auf der Vorstellung, dass Tugend und Vernunft der Schlüssel zu einem erfüllten Leben sind und dass der Mensch im Einklang mit der Natur leben sollte. Diese philosophische Haltung betonte die Selbstgenügsamkeit und die Fähigkeit, Emotionen zu kontrollieren.
Im Gegensatz dazu bot das Christentum eine persönliche Beziehung zu einem allmächtigen Gott, ein Konzept der Gnade und Erlösung sowie das Versprechen eines Lebens nach dem Tod – Aspekte, die dem emotionalen und spirituellen Bedürfnis vieler Menschen besser entsprachen.
Die starke Betonung auf Demut und Glaube im Christentum stellte einen Kontrast zur stoischen Betonung von Vernunft und Apatheia dar. Dadurch geriet der Stoizismus in den Hintergrund und wurde schließlich von den christlichen Doktrinen verdrängt.
Die griechische Stoa, gegründet von Zenon von Kition, war stark von theoretischen Ansätzen geprägt und umfasste eine umfassende Betrachtung von Logik, Physik und Ethik. Diese ursprünglichen Lehren konzentrierten sich auf die Vernunft als höchste Tugend und die Rolle des Menschen im Einklang mit der kosmischen Ordnung. Chrysippos, einer der führenden griechischen Stoiker, entwickelte tiefgehende logische und metaphysische Theorien, um die stoische Philosophie systematisch zu strukturieren.
Im Gegensatz dazu stand der römische Stoizismus, der von Philosophen wie Seneca, Epiktet und Marc Aurel vertreten wurde. Diese römischen Denker legten den Schwerpunkt verstärkt auf die praktische Anwendbarkeit der Philosophie, insbesondere im Hinblick auf persönliche und gesellschaftliche Herausforderungen. Sie konzentrierten sich auf ethische und moralische Reflexionen, die den Einzelnen stärken und zur Resilienz beitragen sollten. Seneca betonte die Gelassenheit und die Kunst, Wohlstand und Widrigkeiten gleichermaßen zu begegnen, während Epiktet die Bedeutung der inneren Freiheit trotz äußerer Zwänge hervorhob. Marc Aurel verband in seinen Selbstbetrachtungen stoische Grundsätze mit einer tiefen persönlichen spirituellen Suche nach Frieden und Harmonie mit der Natur.
Zudem wurde der Gedanke der kosmischen Gemeinschaft in Rom stark betont und in soziale Verantwortung umgesetzt – die Vorstellung, dass alle Menschen Teil einer größeren, miteinander verbundenen Gemeinschaft sind.
Während die griechische Stoa primär intellektuell und philosophisch blieb, wurde der Stoizismus im römischen Kontext ein praktischer Leitfaden zur Lebensführung, der Menschen in ihrem Alltag helfen sollte, ein tugendhaftes und friedliches Leben zu führen.
Der Aufstieg und die Verbreitung des Stoizismus im Römischen Reich wurden von mehreren gesellschaftlichen und politischen Ereignissen beeinflusst. Die expansive Phase des römischen Imperiums brachte viele Herausforderungen wie politische Instabilität, soziale Ungleichheiten und ständige Kriege mit sich. Stoische Lehren, die Gelassenheit, Tugend und Selbstbeherrschung betonten, boten eine philosophische Antwort auf die Unsicherheiten dieser Zeit. Vor allem in einer Zeit, in der Machtkämpfe und die Unvorhersehbarkeit des politischen Lebens allgegenwärtig waren, gaben die stoischen Grundsätze den Menschen ein Werkzeug an die Hand, um innere Stabilität zu finden.
Die Verbreitung wurde zudem durch einflussreiche Persönlichkeiten wie Seneca, den Berater von Kaiser Nero, und Kaiser Marc Aurel selbst gefördert. Ihre Schriften und Handlungen demonstrierten die Anwendung stoischer Prinzipien in hohen politischen Ämtern und weckten Interesse und Respekt für die Philosophie. Stoizismus wurde so nicht nur zur Philosophie der Gelehrten, sondern zu einer weit verbreiteten Lebenshaltung, die auch von Soldaten, Beamten und Bürgern im Alltag übernommen wurde.
Die Betonung der Selbstkontrolle, der inneren Ruhe und des Lebens im Einklang mit der Natur beeinflusste stark das Christentum, insbesondere die asketischen Praktiken und die Betonung der Tugend als Weg zur spirituellen Vollkommenheit. Frühchristliche Denker wie Augustinus integrierten stoische Prinzipien wie die Ablehnung äußerer Einflüsse zugunsten innerer Tugendhaftigkeit.
In der Renaissance kam es zu einem erneuten Aufleben des Stoizismus, als Humanisten wie Justus Lipsius die Philosophie als moralischen Kompass und Anleitung für politisch turbulente Zeiten nutzten. Im 17. und 18. Jahrhundert wirkten stoische Ideen in der Aufklärung nach, vor allem durch Philosophen wie Immanuel Kant, der den Wert der Vernunft und moralischen Autonomie betonte.
In der Moderne hat der Stoizismus eine praktische Renaissance erlebt, besonders in der Selbsthilfe- und Psychologieliteratur. Die Prinzipien der stoischen Gelassenheit und Resilienz haben Techniken wie die kognitive Verhaltenstherapie beeinflusst, die darauf abzielt, Gedanken zu hinterfragen und bewusst zu steuern. Heute inspiriert der Stoizismus zahlreiche Menschen durch Werke von Autoren wie Ryan Holiday, die die Philosophie als Mittel zur Selbstverbesserung neu interpretieren.